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Es gibt Themen, die man erstmal für Schnickschnack hält – und dann (wenige) Bücher, die einem eines Besseren belehren. Ein solcher Schatz ist das bei Vahlen erschienene Buch von Torsten Scheller über Ansätze „Auf dem Weg zur agilen Organisation“.

Gerade auf eine so strukturaffine Branche wie unsere muss jeder fluide Ansatz erst einmal befremdlich wirken, bestenfalls begegnen wir ihm mit großer Ambivalenz. So erinnert sich die Autorin an einen Besuch in einer Werbeagentur, deren schuhlose Kreative und Sitzpuffs einige Anwälte noch lange beschäftigten. So sehr, dass darüber deren riesiges (sehr ordentliches) Memoboard mit vierfarbigen Zetteln, Sachbearbeiter-Avataren, Tags, Redlines und Descriptions glatt in Vergessenheit geriet.

Im Zentrum allen Handels: der Kunde

Bei Scheller aber ahnt man recht schnell, dass hier mehr auf dem Spiel steht als nur ein paar Spielereien: „Organisationen unterscheiden sich nicht so sehr darin, wie sie aufgebaut sind und was sie machen, sondern wie sie es machen.

Zwei Unternehmen in derselben Branche unterscheiden sich darin, wie sie am Markt agieren. Und genau in diesem Unterschied liegt der Grund für den Erfolg des einen im Vergleich zum anderen.“

In diesem Fahrwasser steht dann „agil“ für ein besonders flexibles, kundenorientiertes Mindset jenseits bloßer Praktiken und Methoden.

Ins Zentrum allen Handelns rückt der Kunde, der Kunde, und nochmals der Kunde – und nicht länger die eigene Organisation.  Für alle diejenigen, die nicht schon an dieser Stelle aussteigen (müssen), stellt der Autor mannigfaltige, teils lang erprobte Arbeitsmodelle vor, um dem näherzurücken.

Praxiserprobte Arbeitsmodelle

So erörtert Scheller beispielsweise das Kulturmodell nach Schneider, das sich als Zwei-Achsen-System nach Erfahrung der Autorin gut zur Beantwortung bestimmter Vorfragen eignet: Wie stark sind wir auf einer horizontalen Linie zwischen Individualitäts- und Organisationszentrierung dem einen oder anderen Pol zugeneigt?

Und in welchem Ausmaß finden wir uns vertikal eher realitätsgetrieben oder idealistisch zielorientiert? Wie nahe sind wir hier als Sozietät am Sollpunkt? Zum Standardrüstzeug jeder Strategieentwicklung zählt sodann die Dilts-Pyramide mit den Erörterungen zum kleineren und größeren Kontext, in den Ziele und Herausforderungen eingebettet sind und bearbeitet werden können.

Agiles Arbeiten versus detaillierte Leistungsaufstellung

Da ist es zu verkraften, dass – wie mehrfach betont wird – ihrem Wesen nach alle Modelle falsch sind und einige nützlich. Der Agilitätsgedanke selbst kommt aus Sicht von Juristen und Steuerberatern ja nun tatsächlich noch einmal aus einer ganz anderen Ecke: Er stammt ursprünglich aus dem Maschinenbau. Seine Home Base ist bis heute die strukuraverse IT-Branche.

Und auch dort funktioniert er, wie der Autorin von IT-Beratern weiß, nur eingeschränkt. So müsse mehr als sonst der Kunde mitspielen und sich gegebenenfalls mit Teilerfolgen als (einzig) brauchbaren Produkten zufriedengeben. Zudem erfordere agiles Arbeiten viel Einsatz bei hohem Know-how und gleichzeitig besonderer Überzeugungskraft: Schließlich zahle der Kunde für all seine Funktionalitäten und wolle über deren Entstehung nicht die Kontrolle verlieren. Von der Vorstellung einer sieben Minuten genau detaillierten Leistungsaufstellung ist dieses Szenario schon sehr weit entfernt.

Trotzdem steht auch in unserer Branche außer Frage, dass nicht nur Produkte, sondern auch Arbeitsprozesse entschematisiert werden müssen! Auch in der Mandatsarbeit von Anwälten und Steuerberatern ist Kreativität geboten ist, will man nicht eines Tages durch algorithmengetriebene künstliche Rechtsfindungsprogramme ersetzt werden.

Wer hier (frei nach dem großen Management-Denker Peter Drucker) rechtzeitig die richtigen Dinge richtig tun will, für den ist die Scheller-Lektüre der ideale Beginn.

Eine Rezension von Rechtsanwältin Dr.  Anette Schunder Hartung, Frankfurt am Main

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