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Von wegen Nischenthema!

Nach dem aktuellen Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen betrug allein die Zahl der krankheitsbedingten Arbeitnehmer-Fehltage bei der letzten Erhebung 18,5 – ein Rekordwert. Der Etat von Gesundheitsminister Jens Spahn ist für das laufende Jahr 2020 15 Milliarden Euro schwer, beträgt damit aber nur ein Bruchteil der rund 240 Milliarden Euro, die bei der letzten Erhebung allein die gKV umgesetzt haben. In einem über 80 Millionen Einwohner starken Gemeinwesen, das gleichermaßen von dichter Infrastruktur und hohem Versorgungsgrad geprägt ist, verwundert das nicht: Da wird auf vielfältigste Weise ambulante und stationäre Versorgung bewerkstelligt, und dafür sind entsprechend differenzierte juristische Anordnungen zu treffen.

Sie zielen auf

  • die Wahl der oben angesprochenen gesetzlichen oder privaten Versicherungsform, wobei auch das Thema Pflegeversicherung eine erhebliche Rolle spielt;
  • das Recht auch eben jener Arztpraxen, medizinischen Versorgungszentren und Krankenhäuser;
  • die Vertrags-, Gesellschafts- und Vergütungsrecht der Heilberufe insgesamt;
  • ärztliches Berufs-, Arbeits- und Dienstrecht ebenso wie Vorschriften für das nichtärztliche Erbringen von Leistungen;
  • Arzneimittel-, Medizinprodukte- und Apothekenrecht.
  • Auch Veterinäre sind mit eigenen Besonderheiten zu berücksichtigen.

In der Sache umfassen die Regelungen

  • zivilrechtliche Arzthaftungsansprüche ebenso wie
  • die strafrechtlichen Grenzen der Verantwortlichkeit.

Daneben sind Querschnittsmaterien zu berücksichtigen, die auch im Gesundheitswesen eine wichtige Rolle spielen und die

  • von Digitalisierungsfragen
  • über den besonders sensiblen Datenschutz und Fragen der Werbung
  • bis zur Einhaltung vergaberechtlicher Vorgaben

    reichen.

Der Herkulesaufgabe, all diese Punkte nachzuhalten, widmet sich seit Jahren mit großem Erfolg das Münchener AnwaltsHandbuch Medizinrecht, das die beiden Fachanwälte Dr. Tilman Clausen und Jörn Schroeder-Printzen gerade mit einer Vielzahl bekannter Rechtsexperten in dritter Auflage herausgegeben haben. Dabei stechen auch diesmal wieder zahlreiche Praxistipps positiv hervor – beispielsweise zur Nutzung gerichtlicher Aufklärungsmöglichkeiten bei einander widersprechenden Sachverständigengutachten (Terbille/Feifel, § 1, Rn. 270). Noch leserlicher wären die Abschnitte, würde man endlich die Vorgabe „eine Randziffer, (nur) ein Absatz“ aufgeben können; aber dergleichen berührt wahrscheinlich die Grundfesten des Lektorats.

Einem ebenso zukunftsweisenden wie ethisch heiklen Regelungssujet widmet sich das Handbuch im Übrigen mit den unterschiedlichen Aspekten der Reproduktionsmedizin (Makoski, § 19). Bekanntlich ringen wir hierzulande seit einer Weile um ein Fortpflanzungsmedizingesetz, wie es unser Nachbarland Österreich gerade auf den Weg bringt. Dabei reichen die grundlegenden Fragen von den Zulässigkeitsvoraussetzungen bei medizinisch unterstützter Fortpflanzung, Präimplantationsdiagnostik und Zellentnahme über die Verwendung, Untersuchung und Behandlung von Zellen bis hin zu den auch hier allfälligen Dokumentations- und Auskunftspflichten sowie Strafbestimmungen bei Verstößen.

Perspektivisch ließe sich noch über eine Ergänzung um versicherungsrechtliche Fragestellungen im Zuge einer behandlungsfehlerbedingten Berufsunfähigkeit nachdenken. Auch hier geht es um sehr viel Geld – und in Deutschland gibt es mehr Arbeitnehmer mit BU als ohne. Womöglich würde diese Erweiterung den Umfang des Handbuchs aber endgültig sprengen. Immerhin: Die Grundlagen sind angesichts des über 40-seitigen Sachverzeichnisses gelegt. Und an der Neuauflage führt auch so kein Weg vorbei. Jeder, der in diesem Bereich auch nur im weitesten Sinne berät, sollte den neuen Clausen/Schroeder-Printzen auf dem Schreibtisch bereitstehen haben.

Rechtsanwältin Dr. Anette Schunder-Hartung, Frankfurt

Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht
3. Auflage 2020, XXXVII, 1.930 Seiten
In Leinen € 199,00
C.H.BECK ISBN 978-3-406-72937-9

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